Das medikamentöse Lyell-Syndrom (Epidermolysis acuta toxica, toxische epidermale Nekrolyse, TEN) ist eine schwere Reaktion des Körpers auf ein Arzneimittel. Es äußert sich an der Haut und den Schleimhäuten durch Blasen und eine schmerzhafte Ablösung der oberen Schicht. Es bestehen ein starkes Krankheitsgefühl und häufig auch Komplikationen an inneren Organen. Das Krankheitsbild kann lebensbedrohlich sein. Ein solches medikamentöses Lyell-Syndrom ist nicht zu verwechseln mit dem durch Bakterien (Staphylokokken) bedingten Lyell-Syndrom. Die bakterielle Variante tritt meist bei Säuglingen oder kleinen Kindern und ist meist weniger schwerwiegend.
Ein medikamentöses Lyell-Syndrom ist durch eine Reaktion des Organismus auf ein Arzneimittel bedingt. Der genaue Mechanismus bei dem Krankheitsbild ist unbekannt. Es tritt aber in aller Regel dann auf, wenn zusätzlich eine Infektion (meist mit einem Virus) vorhanden ist. Daher ist ein Zusammenhang zwischen einer Medikamenten-Nebenwirkung und einem Virusbefall wahrscheinlich. Es handelt sich bei dem Lyell-Syndrom um eine Reaktion des Abwehrsystems, vermutet wird auch eine „Giftwirkung" des Medikaments.
Medikamente, die bei einem Lyell-Syndrom häufig den Auslöser darstellen, sind
Ein arzneimittelbedingtes Lyell-Syndrom ist eine sehr schwere Erkrankung, die die Haut, aber meist auch innere Organe betrifft. Die Hautsymptome ähneln denen einer Verbrennung beziehungsweise Verbrühung. Es kommt nach einer Arzneimitteleinnahme zunächst zu einer Rötung der Haut. Daraufhin bilden sich kleinere und größere Blasen. Die äußere Hautschicht (Epidermis) löst sich vom Untergrund ab und hängt schließlich nur noch in Fetzen am Körper. Die darunter liegende Schicht nässt und kann an vielen Stellen bluten. Es bilden sich Verkrustungen. Beim medikamentösen Lyell-Syndrom sind normalerweise auch die Schleimhäute (Mund, Augen, Genitalien, After) betroffen. Der Erkrankte klagt über Schmerzen an Haut und Schleimhäuten. Er fühlt sich allgemein sehr krank.
Der Körper verliert über die offenen Stellen viel Flüssigkeit. Es kann daher zu schweren Verschiebungen des Flüssigkeitshaushaltes und des Elektrolyt-Haushaltes kommen. Über die Haut können nun auch leicht Bakterien eindringen und unter Umständen zu einer schweren Infektion führen. Durch alle diese Umstände kann das Lyell-Syndrom lebensgefährlich sein.
Auch innere Organe sind in das Krankheitsgeschehen meist mit einbezogen. In diesem Rahmen kann es beispielsweise zur Leberentzündung (Hepatitis), Entzündung der Nieren (Glomerulonephritis), Magen-Darm-Blutungen oder Entzündungen der Atemorgane kommen. Außerdem besteht hohes Fieber.
Der Arzt erkennt die Erkrankung meist anhand der deutlichen Symptomatik in Verbindung mit der Vorgeschichte (normalerweise Arzneimitteleinnahme in Kombination mit einem Infekt). Dazu erfolgt eine Befragung des Patienten (Anamnese) und eine körperliche Untersuchung mit Betrachtung der Haut und Schleimhaut. Die Diagnose kann durch eine Probengewinnung aus der Haut (Biopsie) und der anschließenden feingeweblichen Untersuchung im Labor (Histologie) abgesichert werden.
Da die Erkrankung lebensbedrohlich ist, müssen einige weitere wichtige Untersuchungen durchgeführt werden. Dies können Blutentnahmen zur Kontrolle einiger Werte (Elektrolyte, Eiweiße) sowie die Messung von Herzfrequenz und Blutdruck sein.
Insbesondere bei Neugeborenen und kleinen Kindern muss ein staphylogenes, also durch Bakterien (Staphylokokken) bedingtes Lyell-Syndrom ausgeschlossen werden, das in der Histologie (Gewebeuntersuchung) ein anderes Bild zeigt und auch von den Symptomen her weniger schwer ist. Ebenso kann ein Stevens-Johnson-Syndrom (eine schwere Verlaufsform der Hautkrankheit Erythema exsudativum multiforme) ähnlich aussehen und sogar manchmal zu einem Lyell-Syndrom werden. In einigen Fällen kann auch eine Verbrühung für die Erscheinungen in Frage kommen.
Der Patient mit einem medikamentösen Lyell-Syndrom muss intensivmedizinisch überwacht und betreut werden. Flüssigkeit, Mineralstoffe und Eiweiß müssen ersetzt werden, meist durch Infusionen. Antibiotika werden als Vorbeugung oder bei bereits eingetretener Infektion gegeben. Es herrschen unterschiedliche Meinungen der Ärzte darüber, ob auch die Gabe von Cortison sinnvoll ist.
Die großflächigen Wunden bedürfen einer sehr intensiven Hautpflege. Sie können mit speziellen Farbstofflösungen behandelt werden und werden mit sterilen Verbänden abgedeckt. Ideal ist es, wenn ein spezielles Lagerungsbett (Luftkissen, Wasserkissen) zur Verfügung steht, so dass die Gefahr neuer Wunden gering gehalten wird. Am Auge und an den Genitalien werden Kortisonpräparate und Antibiotika angewendet, die ein Verkleben der Schleimhaut verhindern sollen.
Der Betroffene muss vor Krankheitserregern geschützt werden. Er wird durch Isolierung von der Umgebung abgeschottet. Personal und Besucher müssen sterile Kleidung sowie einen Mundschutz tragen.
Das durch Arzneimittel verursachte Lyell-Syndrom endet für einen Teil der Patienten tödlich. Lebensbedrohlich können bei dem Krankheitsbild z. B. die Auswirkungen auf den Wasser- und Mineralhaushalt, die Komplikationen an den Organen oder eine schwere Infektion über die offene Haut sein. An den Schleimhäuten, vor allem am Auge, können Verklebungen (Symblepharon) bleiben, die zur starken Funktionseinschränkung führen können.
Letzte Aktualisierung am 19.03.2021.